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Wegfahren, um zu Arbeiten

Bäume, Misteln, Krähen. Ich mag meine Aussicht. Ich kann vom Schreibtisch in den Kurpark sehen. Im Kurpark gehen zwei Mädchen mit Pferden spazieren, wie Hunde führen sie sie an der Leine. Wenn die Pferde wiehern, klingt es nach Panik, nach Stress. Das Wiehern kommt aus dem Nebel, ich muss an die Sagari denken, Pferdekopfgeister der japanischen Folklore. Wenn ein Pferd auf der Straße stirbt, wenn es liegen gelassen wird, um dort zu verwesen, dann kann es sein, dass sich die Pferdeseele in den Ästen der Bäume verfängt. Ab dann erschreckt der Pferdekopfgeist Wandernde, in dem er sich aus Baumkronen fallen lässt und laut schreit, seine Opfer vor Schreck lähmend. Es wiehert wieder vor meinem Fenster, ich verschütte Tee. Es wiehert wieder vor meinem Fenster, und ich weiß, ich werde im Nebel hier nicht spazieren gehen können.
Lisa-Viktoria Niederberger, 3.1.2022

So beginnt mein literarisches Arbeitstagebuch, das ich im Jänner 2022 während meines einmonatigen Schreibaufenthaltes in der Villa Rabl in Bad Hall geführt habe. Die Rabl-Villa ist ein klassizistisches Schmuckstück von einem Gebäude, entworfen von Theophil von Hansen, der auch das österreichische Parlament und das Heeresgeschichtliche Museum in Wien gebaut hat. Dort behandelte der Kurarzt Dr. Johann Rabl Augenkranke, darunter die Künstler Grillparzer, Anzengruber und Makart. Seit 2019 stellt die OÖ-Kunstsammlung zwei Ateliers in der Villa Künstler*innen mit Oberösterreich-Bezug zur Verfügung. Mein Aufenthalt dort war für mich der perfekte Start ins neue Jahr. Mit Blick auf die alten Bäume im Kurpark schrieb ich ein Kapitel nach dem anderen, mein damaliges Schreibprojekt wuchs und wuchs. Abends tauschte ich mich mit der Kollegin im zweiten Atelier über die Arbeit aus. Ich bin viel im Kurpark spazieren gegangen, habe im Café gesessen, dort geschrieben, und was ich gesehen habe, ist in meinen Text eingeflossen, mal mehr, mal weniger. Eine schöner, unkomplizierter Aufenthalt, an deren Ende ich nur einen Arbeitsbericht abgeben musste.

© Lisa-Viktoria Niederberger, Bad Hall

Jede Residency ist anders. Manche Kulturinstitutionen stellen einen Raum zur Verfügung, in dem die Künstler*innen sich selbst überlassen sind und ohne Vorgaben an eigenen Projekten arbeiten können, andere schreiben „Stadtschreiber*innen“-Stellen aus und erwarten eine verstärkte Interaktion zwischen Künstler*innen und Atelierort. Am Ende steht in der Regel ein Werk, das während des Aufenthalts speziell für die Stadt entstanden ist und sich auf sie bezieht.
Auch die Dauer der Residencies ist unterschiedlich. Sie sind selten kürzer als ein oder zwei Monate, die Höchstdauer beträgt ein Jahr. Sie können sich an nationale oder internationale Künstler*innen richten. Die Bewerbung für das Folgejahr muss in der Regel bis zu einem bestimmten Stichtag erfolgen und aktuelle Arbeitsproben enthalten. Einige Ausschreibungen verlangen, dass die Bewerbung einen Text oder eine Projektbeschreibung zu einem bestimmten Thema enthält. Die Auswahl erfolgt in der Regel durch eine Jury, Ablehnungen werden nur selten begründet.

​​Lisa Viktoria Niedernberger

Seit 2021 bewerbe ich mich um Residencies und Aufenthaltsstipendien, bei dreien hat es bisher geklappt. Neben Bad Hall war ich im Sommer 2021 auf Einladung von Alma für drei Wochen bei einer Älplerfamilie im Bregenzerwald und habe dort Texte über Kühe und Käse geschrieben. Im Februar 2023 verbrachte ich die ersten zwei Wochen im Atelier der Literar Mechana in Altaussee. Alle drei Residenzen waren völlig unterschiedlich. In Vorarlberg lebte ich auf engstem Raum mit acht fremden Menschen zusammen und war als Beobachterin in den Familienalltag eingebunden, stand täglich mit dem Block im Stall oder in der Sennerei. In Bad Hall war der Dialog mit meiner Kollegin so gut, dass es sich fast nach Künstler*innen-WG anfühlte, und meinen Aufenthalt in Altaussee kann man als Klausur bezeichnen. Ich war dort so im Text und so isoliert, dass ich über eine Woche lang keine andere Person gesehen und mit niemandem gesprochen habe. Und das war schön.

Wie eine gute, erfolgreiche, schöne etc. Residency auszusehen hat ist natürlich subjektiv, dennoch gibt es ein paar Grundvoraussetzungen, die ich für einen zufriedenstellenden Arbeitsaufenthalt wichtig finde.

Was zeichnet nun also (für mich) eine gute Residency aus?

  • Erstens: Der Arbeitsplatz ist schön, sauber, man fühlt sich wohl. Er ermöglicht gleichzeitig Rückzug und soziale Vernetzung, z.B. mit der lokalen Kulturszene. Dabei wäre es wichtig, dass auf die Bedürfnisse der Künstler*innen Rücksicht genommen wird. Möchte jemand völlig isoliert arbeiten oder lieber in (regelmäßigen) Austausch treten und Lesungen / Künstler*innengespräche / eine Abschiedsausstellung/ ein Konzert etc. organisieren? Der Fokus sollte darauf liegen, was die Stipendiat*innen wollen und brauchen, nicht auf der Institution, die die Residency ausschreibt.

  • Zweitens: Das Aufenthaltsstipendium wird vergütet. Es werden nicht nur die An- und Abreisekosten übernommen, sondern es gibt auch ein Honorar. Warum ist das wichtig? Die Fixkosten zu Hause laufen weiter. Gleichzeitig wird das Einkommen während des Atelieraufenthaltes vermutlich sinken, man soll und will sich ja auf die Kunst konzentrieren können. Im Idealfall ohne Verlust. In Bad Hall gab es zum Beispiel 500 Euro. Damit konnten die An- und Abreise und die Lebenshaltungskosten während des Aufenthaltes gedeckt werden. Ein Einkommensersatz ist dieser Betrag nicht. Gerade deshalb halte ich eine (honorierte!) Leistung im Rahmen des Stipendiums für wichtig. Die Entscheidung, sich für einen Arbeitsaufenthalt zu bewerben, sollte nicht daran hängen, ob man es sich leisten kann oder nicht. Bei den Stadtschreiber*innen-Stipendien ist das (meist) schon geregelt und eine monatliche Entlohnung zwischen 1000€ und 2000€ üblich. Dafür stimmen die Stadtschreiber*innen aber auch dem Schreiben von Kolumnen oder Arbeitstagebüchern für regionale Medien, sowie Schulworkshops oder Auftritten zu. Wird die Belastung durch diese vereinbarten Arbeiten zu hoch, kann es also auch im Rahmen eines solchen Stipendiums schnell zu prekären Einkommensverhältnissen kommen.

  • Drittens: Barrierefreiheit und eine klare Kommunikation darüber, für wen ein Ort zugänglich ist und für wen nicht. Und: der Wille, das zu ändern, denn oft werden Künstler*innen mit Behinderung ausgeschlossen. Manchmal sind Residencies auch an Altersbeschränkungen geknüpft. Auch das sollte sich ändern, denn es fördert den Irrglauben, eine künstlerische Laufbahn müsse jung beginnen. Mit der Unvereinbarkeit von Elternschaft und Residencies beschäftigt sich die Gruppe Other Writers need to concentrate. Sie stellen eine Liste zur Verfügung, in der sie Angebote nach den Kategorien „Aufenthaltsstipendium mit Kinderbetreuung“, „Familienfreundliches Aufenthaltsstipendium“ und „Familien unerwünscht“ sortieren. Ein wichtiges und gutes Projekt, das aber auch seine Fehler hat, z.B. wird eine Residenz in Kyoto, in der sich mehrere Stipendiat*innen Küche und Aufenthaltsraum teilen, als „familienfreundlich“ beworben. Das Bedürfnis nach Teilhabe von Künstler*innen mit Kindern wird also höher bewertet als das Ruhebedürfnis jener ohne Kinder, was ich persönlich sehr kritisch sehe. Arbeitsaufenthalte mit Kindern müssen möglich sein, aber es muss auch möglich und zumutbar sein, kinderfreie Räume zu behalten. Die Berücksichtigung der Bedürfnisse der einen Gruppe darf nicht auf Kosten der anderen gehen. Dies sind komplexe Sachverhalte, die es fair zu klären gilt. Daher braucht es:

  • Viertens: diverse, paritätisch besetzte Jurys, Gremien, Kulturvereine und -abteilungen mit Intersektionalitätsbewusstsein und transparente Auswahlkriterien.

© Lisa-Viktoria Niederberger, Bad Hall

Fazit ist, dass es auch bei den Residencies noch viel zu tun, zu fordern und zu optimieren gibt, dass sich ein solidarischer, feministischer Blick auf die Rahmenbedingungen lohnt. Residencies sind in den meisten Fällen nicht familienfreundlich. Sie fördern häufig das künstlerische Prekariat durch fehlende oder unzureichende Entlohnung und stehen daher oft nur einer privilegierten Splittergruppe zur Verfügung: den finanziell abgesicherten Singles/ Kinderlosen. So wird das romantische Klischee vom „Künstler (sic!) als einsames Genie“ aufrechterhalten. Ein zeitgemäßerer Ansatz wäre wünschenswert.

Warum also? Wieso trotzdem Aufenthaltsstipendien?

Weil ein Ortswechsel einen Perspektivwechsel mit sich bringt, der der Arbeit guttut. Neuer Raum für neue Ideen. Das Schönste an Bad Hall war für mich der Platz. Zu Hause habe ich immer am Esstisch gearbeitet. Im Atelier konnte ich zum ersten Mal alles liegen lassen, meine Notizen und Bücher so um den Laptop legen, wie ich wollte. Und sie durften dort tagelang liegen bleiben. Das klingt banal, war es aber nicht. Mit dem Ortswechsel fällt auch vieles weg: keine Termine, endlich mal nichts erledigen müssen, keine Beziehungsarbeit, der Haushalt auf ein Minimum reduziert.

Vielleicht ist es das, was mir an Residencies am meisten gefällt: die Freiheit, die mit dem Wegfall des Alltags verbunden ist, und der zusätzliche Raum und die Ressourcen, die dadurch im Kopf frei werden. Und genau das ist es doch, was wir neben Raum und finanzieller Sicherheit für kreative Arbeit am meisten brauchen: einen freien Kopf.

zoe goldsteinLisa-Viktoria Niederberger lebt als Autorin und Kulturwissenschaftlerin in Linz. Sie schreibt Prosa, Essays und Texte für Kinder. Schwerpunkte ihrer Arbeit sind u.a. psychische Erkrankungen, Körperbilder und soziale Gerechtigkeit, z.B. im Winter 2022 als feministischer Essay und Audioinstallation mit dem Titel “Wie wir sind” im Rahmen der Ausstellung “de/re constructing female bodies” in der OÖ-Kunstsammlung. Auszeichnungen (Auswahl): Talentförderungspreis des Landes Oberösterreich, Kunstförderungspreis der Stadt Linz, Theodor-Körner-Förderungspreis und Jahresstipendium der Literar Mechana. Mitglied der Grazer Autorinnen Autoren Versammlung und der IG Fem.

Bilder © Lisa-Viktoria Niederberger / Bad Hall
Autorinnenbild © Zoe Goldstein

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